Das erste Mal Gefahr
An einem Wochenende Anfang März aber ging dann nichts mehr. Freitags mit Fieber nach Hause, Samstag und Sonntag plattgelegen. Montags immer noch Fieber und so schlapp, dass an Arbeit kein Denken war. Also doch zum Arzt. Nach 2 1/2 Stunden mit Schüttelfrost im eiskalten Wartezimmer (Durchzug wegen Corona) rammt er mir ein Thermometer ins Ohr, saugt die Luft scharf ein und drückt mir einen gelben Zettel in die Hand: Einweisung ins Krankenhaus, Verdacht auf Sepsis. Oder – Achtung! – Zeckenbiss. Spannende Diagnose in 40 Sekunden, aber zum diskutieren hatte ich keine Energie.
In der Notaufnahme des Mayener Krankenhauses bekam die freundliche Ärztin erst einmal einen kurzen Lachflash. Wegen der Zecken-Nummer im Winter. Als dann aber die ersten Laborwerte kamen wurde es ein wenig hektisch. Antibiotika dran und ab auf Station, denn die Entzündungswerte im Blut waren dramatisch hoch. Mir ging es so richtig beschissen, zumal der Kopf mal wieder zum Explodieren schmerzte.
Zunächst hatte ich Glück: Einzelzimmer. Die Antibiotika-Infusion tröpfelte vor sich hin, daneben tropften die Schmerzmittel und in der Ecke der Wasserhahn. Ein ruhiges, leicht morbides Idyll. Man wartete gespannt auf die Blutkultur und ein Antibiogramm. Doch schon ein paar Stunden später war mit der Ruhe Schluss: mitten in der Nacht zog ein Mitpatient ein, ich nenne ihn “Maule-Paule”. Selbst eingewiesen aufgrund von OP-Komplikationen aufgrund von Sturheit und damit verbundener vorzeitiger Entlassung. Jetzt sauer, weil ja die Ärzte alles Schuld sind. Die sind nämlich dumm.
Okay, Schmerzmittel machen leicht selig, und das macht Maulepaule erträglich. Auch wenn er sehr nachdrücklich ignoriert, dass ich seine Gesprächsversuche sehr angestrengt ignoriere. Es wurde Vormittag, und An-Eckbert zog ein.
Maule-Paule und An-Eckbert kennen sich gut. Und sie sind beide jenseits der 80 und schwerhörig. Maule-Paule muss am Fenster liegen weil er sonst erstickt. Und An-Eckbert direkt am Zimmereingang, weil er schlecht zu Fuß ist und einen kurzen Weg zur Toilette braucht. Und so liege ich zwischen zwei sich fröhlich anbrüllenden alten Herren mit erstaunlich viel Ausdauer. Und mir platzt der Schädel. Irgendwie merke ich aber auch, dass es nicht nur der Kopf ist: ein Gefühl des Energie-Abflusses macht sich breit, zum ersten Mal spürbar und irgendwie beunruhigend.
Blutkultur und Antibiogramm zeigen keine Auffälligkeiten, die Antibiotika werden abgesetzt. Weil aber die Entzündungswerte noch immer jenseits von Gut und Böse sind, läuft die diagnostische Maschinerie auf Hochtouren. Alles, was in Mayen untersucht werden kann, wird untersucht. Mit einer wirklich erwähnenswerten Freundlichkeit und gut organisiert. Aber leider kommt nichts bei raus. Und als Freitags dann die Blutwerte wieder normal sind, spuckt mich die Medizinmaschine wieder aus. Mit nach Hause nehme ich immer noch wahnsinnige Kopfschmerzen, unfassbare Erschöpfung und einen Entlassbrief mit der Bitte, das Ganze unbedingt neurologisch und immunologisch abzuklären.
Es folgt der grandiose Abschied von Hausarzt 1. Auf meine Bitte, mich wenigstens noch ein paar Tage arbeitsunfähig zu schreiben, werde ich angeblafft. Was ich denn noch wolle, schliesslich wäre ich ja schon für nix und wieder nix eine Woche auf Urlaub im Krankenhaus gewesen. Ich solle mich bitte mal zusammenreissen, Antidepressiva schlucken und regelmässig spazieren gehen. Und so ging ich. Das erste Mal in meinem Leben völlig verzweifelt. Ich ging aus der Praxis, und ich schleppte mich auf die Arbeit. Fällt schwer, so als Versager, Simulant und Sozialschmarotzer.