Das diffuse Abwärts
Irgendwie schaffte ich es, die Zeit nach Feierabend und vor allem die Wochenenden zu nutzen, um mich zu erholen. Zumindest ein bisschen. Allerdings blieb KingBEAR – “die Firma” – dabei ziemlich auf der Strecke. Freunde, Familie und Ehe auch – es ging einfach nix. Damit ich nicht als “faule Sau” wahrgenommen würde, stürzte ich mich in der Freizeit in teils sinnlose Aktivitäten. Sinnvolle gingen nämlich nicht, dazu fehlte mir die nötige Konzentration und die Fähigkeit zu fokussieren.
Auf der Arbeit lief das leider ähnlich. Die Arbeit mit den Reha-Teilnehmern gestaltete sich zunehmend qualvoll: allein wenn mehr als eine Person im Raum redete, merkte ich wie mein Akku leerläuft. Und spätestens Mittags ging dann vor allem im Kopf nichts mehr. Und auch hier versuchte ich, meine mangelnde Qualität durch schiere Quantität zu überdecken, nur um nicht als “Verpisser” dazustehen. Über allem aber stand das Problem, dass ich mich von den Problemen meiner Maßnahme-Teilnehmer nicht mehr abgrenzen konnte, was in diesem Job eine überlebenswichtige Qualifikation sein sollte. Für die “Firewall” war kein Saft mehr da, jede Teilnehmerkrise wurde auch meine. Das habe ich natürlich nie zugegeben, denn falls der Arzt doch Recht hat und ich auch einer von “diesen Psychos” (liebe Ex-Teilnehmer, ihr versteht das wenn ich das sage) bin, dann bin ich hier geliefert.
Zu den Kopfschmerzen gesellten sich Schmerzen in der Muskulatur. Und weil die Ibuprofen aus der Apotheke nicht mehr wirkten, besorgte ich mir aus finsterer Quelle was Stärkeres. Da kam auch schon mal ein ganzes Gramm Novalgin über Tag zusammen, was meiner Konzentrationsfähigkeit dann den Rest gab.
Irgendwann kam dann auch das Fieber zurück und ich konnte einfach nicht zur Arbeit. Schon allein, weil es ja doch ein Infekt sein könnte. Und es ist endlich was Messbares, das kannst Du vorzeigen und dann ist es okay, wenn Du Dich krankmeldest. Und weil ich zu Arzt Nr. 1 ja nicht mehr gehen wollte, wurde ich neuer Patient bei Dorfarzt Nr. 2. Der war nett, hatte ein nettes Team, und der hörte sich erst mal alles an. Dann schrieb er mich satte 3 Tage krank. Auch meiner Bitte, nochmal Blut abzunehmen, kam er nach. Allerdings erst mit Termin in 3 Tagen. Da war das Fieber schon wieder weg, und – schwupp! – das erste Mal die Frage, ob ich schonmal was an der Psyche hatte. Aufgrund der Kopfschmerzen folgte auch die Überweisung an eine Neurologin, Befund: Migräne.
Irgendwo im Kontext meines Jobs hatte ich gelesen, dass es sowas wie “Long-COVID” gibt. Betroffene schilderten ähnliche Beschwerden. Im Gespräch mit dem Doc sagte er, das sei noch total unerforscht, man vermute irgendwas mit irgendwelchen Rezeptoren, und das geht dann wieder weg. In der Zeitung las ich, dass in Koblenz eine Spezialambulanz für Long-COVID eröffnet hatte. Okay, dann melde ich mich da mal und frag nach einem Termin. Gesagt, getan: Wartezeit 12 Monate. Wir melden uns bei Ihnen. Shit.
Alles wurde schlimmer. Konzentration im Job: bis maximal 12 Uhr, dann ist vorbei. Schmerzen überall: ignorieren und weg-drogen. Ein Privatleben existiert nicht mehr, denn nach Feierabend geht nur noch Couch. Meinem Mann gegenüber fühle ich mich wie ein Stück Scheisse, traue mich aber nicht darüber zu sprechen. Nicht, dass ich am Ende doch der Psycho bin und er auch das noch ausbaden muss. Und außerdem hat der gerade selber genug Päckchen zu tragen. Auf der Arbeit mache ich Fehler. Schwere Fehler, die mir selber nicht mehr auffallen. Niemand wagt, mich darauf anzusprechen.