Ein Wunder. Und ein Absturz.
Eine Mail flattert unerwartet ins Haus, gerade so vorbei am Spamfilter. Ich bekomme eine Einladung in die Long-COVID-Ambulanz. Termin Anfang Oktober. Selbstverständlich sage ich zu, denn mittlerweile fällt mir das Weg-Ignorieren schwer. Ich muss mich jeden Tag entscheiden, ob ich meine Energie ins Ignorieren stecke oder in produktive Dinge.
Meine zunehmende Unfähigkeit, Kleinigkeiten richtig und in angemessener Zeit zu erledigen, tarne ich in Superlativen. Die täuschen hervorragend darüber weg, was alles irgendwie nicht mehr so richtig will. Ich fange an, kleine Fehler einfach passieren zu lassen, damit ich noch genug Power für solche Blendgranaten habe. Das ist unglaublich anstrengend und macht alle Symptome kontinuierlich schlimmer. Gegen die Schmerzen nehme ich heimlich Ibuprofen. 1200mg und mehr pro Tag. Dann fühlst Du Dich zwar wie in warme Watte gewickelt und irgendwie rauscht es in den Ohren, aber wenigstens schaffst Du es noch, den Gute-Laune-Bär zu geben. Meistens.
Manchmal aber auch nicht, was mein Umfeld hinsichtlich meiner Befindlichkeiten zunehmend verunsichert. Nicht jeder sagt mir das ins Gesicht (mein Chef schon, und dafür sei er gedrückt!), aber ich spüre das. Es folgen jede Menge gut gemeinte Ratschläge, die mich aber vollends überfordern. Ein nettes “geh doch mal in Ruhe mit dem Hund spazieren” macht mich wütend und traurig zugleich, leider trifft die Wut dann völlig fehlgeleitet den Ratschlagenden. Auf den Spaziergang folgt der Zusammenbruch, und mittlerweile ist die maximal tolerierbare Strecke so kurz, dass ich den Hund per Stöckchenwurf bewegen könnte. Aber auch hier stelle ich mir wieder selber ein Bein, warte auf einen gut geladenen Akku und simuliere dann einen Marathon. Um es mir selber zu beweisen und den anderen den Gefallen zu tun, noch der Alte zu sein. Den Zusammenbruch am Wochenende sieht dann niemand. Nur mein Mann, vor dem das Verstecken jetzt auch nicht mehr funktioniert.
Ende September kommt dann der erste Crash, den ich als solchen wahrnehme und bei dem mir die Kraft fehlt ihn zu überspielen. Mir bleibt nichts anderes übrig als die Arbeit zu unterbrechen und in die nächstbeste Arztpraxis zu schwanken. Dort kann man mich zwar nicht als neuen Patienten aufnehmen, hört sich aber alles an, untersucht sicherheitshalber auf schwere Herz-Kreislauf-Probleme. Bei der Frage, ob ich eine Krankmeldung brauche, ertappe ich mich dabei zu diskutieren, warum ich keine haben möchte. Ausnahmsweise funktioniert das Hirn mal schnell und befiehlt, ich solle diese kranke Scheisse jetzt lassen und einfach mal zuhause bleiben. Der Chef zeigt sich verständnisvoll. Ich hasse ihn dafür (herzlichst!), denn ich selber fühle mich wie ein scheiss Versager, der ausgerechnet die im Stich lässt, die ihn immer unterstützen.
Die 5 Tage Ruhe bringen erstaunlich viel. Immerhin der Körper kommt wieder zu Kräften, wenn auch auf frustrierend niedrigem Niveau und quälend langsam. Was bleibt ist das Gefühl, nicht mehr leisten zu können und die wachsende Angst, dass am Ende doch der Arzt recht hat und alles nur Balla-Balla ist. Denn da müsste ich selber rauskommen, und dazu habe ich keine Kraft mehr.