Der „erste“ Crash

Es kam alles zusammen: Stress in der eigenen Firma (wenn das Finanzamt zankt), zu wenig Zeit für Spaß und zu viel Liegengebliebenes. Dazu die Aussicht auf einen Termin bei der Long-COVID-Spezialistin, auf den ich schon ewig gewartet habe. Noch ein bisschen Zahnweh obendrauf, und ich war ziemlich durch. Ende September schon musste ich die Arbeit abbrechen und mich krankschreiben lassen, weil die Symptome, welche mich schon zwei Jahre begleitet hatten, einfach zu viel wurden.

Dann bekam ich nochmal Corona. Bingo. Der erste Tag des Untersuchungsmarathons bei der Fachärztin war zugleich der erste Tag mit negativem Test. Nach einer ganzen Woche mit hohem Fieber. Und mir ging es richtig mies, ich schob das aber auf die Infekt-Nachwehen. Es folgte ein ganzer Berg an Diagnostik, und am Ende dann der Schlag: mit hoher Wahrscheinlichkeit ME/CFS.

Natürlich stresste mich das noch zusätzlich, und das zog mich weiter runter. Zum ersten Mal in zwei Jahren schob ich das auf die eigene Psyche, wurde aber dann beim nächsten Untersuchungstermin („Kognitive Leistungsfähigkeit“, erneute Handkraftmessung und Kipptisch) eines besseren belehrt: die Diagnose ME/CFS stand fest, und mein Zustand? Nun ja, das war ein Crash.

So fühlt sich das also an. Und es wurde noch schlimmer. Fast 10 Tage konnte ich das Bett nur für das Allernötigste verlassen. Es fehlte einfach an Kraft. Die Beine waren wacklig, auf die Arme konnte ich mich zum Aufstehen kaum stützen. Und wenn ich es dann doch aus dem Bett geschafft habe, dann war das ein Kraftakt, der sich umgehend in totaler Erschöpfung, starken Schmerzen und vor allem einem Zustand „geistiger Unzurechnungsfähigkeit“ rächte.

Ein Gespräch zu führen ist in diesem Zustand fast unmöglich: habe ich mir den Satz im Geiste zurechtgelegt, reicht die kleinste Ablenkung und ich verliere völlig den Faden, lande in einem völlig anderen Thema. Auch eigentlich einfache alltägliche Abläufe funktionieren nur mit höchster Konzentration. Schon mal versucht, ohne Staubsauger staubzusaugen? Geht nicht, was eine frustrierende Erkenntnis ist.

Und dann gibt es – auch während eines Crash – Phasen, in denen scheint ganz plötzlich alles normal zu sein. Wenn Du dann versuchst die Chance zu ergreifen und endlich wieder wenigstens ein bisschen aktiv zu werden: lass es einfach sein. Ich hab’s probiert, es wirft dich sofort zurück.

Ich gehe es also gerade sehr langsam an. Wohldosierte Aktivitäten, gefolgt von bewussten und langen Pausen. Dabei immer genau hineinspürend, ob es nicht doch wieder zuviel sein könnte. Denn das kündigt sich an: ich bekomme kalte Hände, das Schlucken fällt schwer, und als letztes Warnsignal melden sich Kopfschmerzen, die ich in dieser Art noch nicht kannte. Es zieht und brennt ganz leicht, begleitet von einem dumpfen Brummen im Ohr. Und dann muss ich alles stehen und liegen lassen und Pause machen – mindestens 3 Stunden Ruhe. Überschreite ich diesen Punkt, geht es wieder bei Null los. Das ist echt frustrierend.

Was auffällt: Kognitives, Emotionales und vor allem akustische Reize sind gerade die größten Energiefresser. Körperlich ist einfach aktuell nichts drin, aber „Ertüchtigung“ im Rahmen des Möglichen macht es auch nicht schlimmer. Hinsichtlich der Geräuschproblematik helfe ich mir gerade mit leiser, rhythmisch simpler Musik als Anker. Wenn dann aber der Hund bellt oder – je nach Grundzustand – mein Mann nur atmet, ist schon wieder Pause angesagt. Das sieht dann nach außen wie Gereiztheit aus, ist aber „nur“ Flucht.

Das alles ist – und das ist für mich eine wichtige Erkenntnis – überhaupt nicht neu. Das war die letzten zwei Jahre immer schon da, wenn auch nicht in dieser extremen Intensität. Ich habe das nur immer von mir weggeschoben und vor anderen so gut es ging verheimlicht. Nicht, dass der Arzt am Ende mit seiner Psycho-Diagnose doch noch recht hat. Das ist alles blöd, aber jetzt, mit der richtigen Diagnose, kann ich zumindest Einfluss darauf nehmen. Das muss ich allerdings noch lernen…

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Christian Schweden

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